Deeskalation a la Sachsen

 So schnell sind sie dahin, die guten Vorsätze. Immerhin bieten die erschütternden Bilder aus Clausnitz die Gelegenheit, meinen Fachbereich wenigstens am Rand in diesen Blog zu bringen. Das ist dann aber auch schon der letzte Lichtblick in diesem Beitrag.

Als ich gestern die pöbelnde, grölende Maße sächsischer Männer im Video auf Spiegel-Online sah, setzte meine sächsische Schamroutine ein und ich hakte dieses, zur Zeit mein zu Hause genannte, Bundesland wieder ein Stückchen ab. Frankfurt am Main ist auch ganz schön. Eigentlich jede größere Stadt Deutschlands außerhalb Sachsens. Am Rande sei bemerkt, wie erschreckend die eigene emotionale Verrohung in Angesicht des Schreckens ist, den meine -da führt kein Weg dran vorbei- Mitbürger unter geflüchteten Menschen in Deutschland verbreiten.

Heute morgen sah ich dann einen Post auf Facebook zu dem zweiten Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Vertreter des Gewaltmonopols einen höchstens neun Jahre alten Jungen unter dem Johlen der umstehenden Faschisten gegen dessen Willen aus dem Bus zerrt. Zwei Dinge an diesem Video haben es durch meine sächsische Schamroutine geschafft und mich bis ins Mark erschüttert. Zum einen ist deutlich, dass der umstehende Pöbel die Beamten der sächsischen Polizei als Vollstrecker des hausgegrölten Volkswillens sieht. Zwar widersprechen sich die Willensäußerungen diametral („Fahrt nach Hause!“ vs „Hol ihn raus!“), doch die Sympathien zwischen Polizei und Folg scheinen in Sachsen so tief zu gehen, dass die gegenseitige Liebe auch in schweren Gewässern hält.

Wenn es sich dabei um den ersten Vorfall dieser Art in Sachsen handeln würde, könnte man von einem Ausreißer sprechen. Vieles spricht jedoch für ein, wie Sebastian Bartoschek schrieb, „strukturelles Problem“. Ich bin froh, dass ich mittlerweile ein sächsische Schamroutine entwickelt habe, so werde ich die kommende Zeit emotional überstehen. Die geflüchteten Menschen in Sachsen haben da weniger Glück.

Der zweite Aspekt in dem Video ist die zur Schau gestellte Unprofessionalität der Polizei. Gibt es so etwas wie eine Einsatzleitung, die, abseits vom direkten Geschehen einen kühlen Kopf bewahrend, die Situation überschaut? Gibt es Deeskalationsausbildung? Ist der Begriff bekannt?

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es immer wieder Situationen in denen körperliche Gewalt (ich nenne es so, weil es vom Empfänger so empfunden wird, nicht weil es vom Ausübenden so intendiert ist!) im Rahmen von Zwangsmaßnahmen notwendig sein kann, um einen Menschen vor sich oder andere vor ihm zu schützen. Durch Deesekalationsstrategien lässt sich die Fequenz dieser Maßnahmen jedoch auf Einzelfälle reduzieren. Mir ist klar, dass ein Polizeieinsatz andere Bedingungen hat als eine psychiatrische Behandlung. Die Prinzipien sollten sich aber in beiden Fällen aus den Menschenrechten herleiten lassen.

So muss es die Abwägung geben, ob die ausgeübte Zwangsmaßnahme im Verhältnis zu dem steht, was ich durchsetzen will oder ob es mildere Mittel gibt. In Clausnitz war das Ziel (?), Menschen aus einem Fahrzeug in ein Gebäude zu bringen. Diese Menschen haben sich, aus einer nicht unberechtigten Angst, geweigert oder gesträubt, diesen Bus zu verlassen. Denn sie sahen durch sächsische Männer ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit gefährdet. Und offensichtlich waren sie der Ansicht, das die sächsische Polizei in der anwesenden Personaldecke und der gezeigten Haltung ihnen gegenüber nicht in der Lage war oder sein wollte, sie adäquat zu schützen.

Doch Anstatt die Ursache für die Angst der Menschen zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass der Pöbel gebührenden Abstand hält, zwingt man die Menschen, sich diesem Pöbel auszusetzen. Hat der junge Mensch, der von einem sächsischen Polizisten mit Gewalt aus dem Bus gezerrt wird*, den Krieg, die Reise über das Mittelmeer, die Reise durch das winterliche (klimatisch und emotional) Europa und die Zeit in den Erstaufnahmestellen ohne ein Trauma überstanden, sorgt sächsische Polizei fürsorglich für Abhilfe. Weiß sie doch, dass PEGIDA & Co nur traumatisierte Geflüchtete akzeptieren. Man hilft ja, wo man kann. Danke Polizei.

Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, einfach zu warten. Die Menschen auf der Straße wären nicht ewig dort geblieben. Man hätte den Menschen sagen könne, dass man sie schützen wird, Präsenz zeigen und wenn die Lage sich beruhigt hat, die Menschen aussteigen lassen.

Oder man hätte, den Bus umdrehen lassen können und am nächsten Tag einen erneuten Anlauf starten können, besser vorbereitet und mit einem neuen Heimleiter.

Oder, mein Favorit, man hätte die Personalien der Pöbler feststellen sollen, den Bus zum nächsten hochklassigen Hotel bringen lassen und die Menschen darin solange unterbringen, bis eine sichere Ankunft in Clausnitz möglich wäre. Die Hotelrechnung wäre dann den Pöblern zugestellt worden.

*Es ist natürlich möglich, dass die Art zu handeln aus der immer noch weit verbreiteten Ansicht resultiert, es sei kein Problem, Kinder mit körperlicher Gewalt zu etwas zu zwingen. In dem Fall könnte die Polizei gleich zwei Probleme in den eigenen Reihen angehen.

Weiterlesen:

Mehr Texte zu PEGIDA und den sächsischen Verhältnissen aus Sicht eines Wirtschaftsflüchtlings (das bin ich) auf Diaphanoskopie.

10 Gedanken zu “Deeskalation a la Sachsen

  1. „Deeskalationsausbildung?“
    Oh, die Polizei deeskaliert nach Kräften. Es wird schließlich nicht wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt usw. ermittelt.

    Sondern: „Es wird unter anderem wegen der Straftat der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten ermittelt.“ Zunächst hieß es noch Freitagmittag, man ermittle wegen „Bedrohung“. Außerdem werden Verstöße gegen das Versammlungsgesetz geprüft. Auf welche Art gegen das Gesetz verstoßen wurde, konnte die Polizei am Freitagnachmittag noch nicht sagen. Insgesamt seien zwei Anzeigen durch die Polizei in Bearbeitung, in der ursprünglichen Polizeimeldung waren es 13 – dies sei allerdings ein „Zahlendreher“ gewesen, wie ein Polizeisprecher am Nachmittag mitteilte. Das vorhandene Videomaterial, auf dem zu sehen ist, wie die Flüchtlinge angefeindet und eingeschüchtert werden, werde aber auf weitere Straftaten hin überprüft.“

    Ich erlaube mir, meinen Blog anzufügen und freue mich über Ihren Wortbruch, wenn auch aus Liebermannschem Anlaß.

    1. Es war ja bereits vor einiger Zeit vom ‚Vollzugsdefizit‘ bei PEGIDA die Rede. Die Polizei nannte als Begründung zu wenig Personal und schwierige Situation und so. Das führt zu geradezu grotesken Szenen. Da kommen die Besorgten auf den Theatherplatz, nachdem sie die, linke Chaoten abhaltende Polizeisperre durchquert haben und ziehen, scht, scht, scht, ihre Teleskopstange auseinander um das Fähnchen dranzuhängen. Die ist dann gute drei Meter lang, während die Auflagen maximal 1,5m erlauben.
      Auf dem Postplatz werden derweil „linke“ Demonstranten einzeln (!) durchsucht, weil der Verfassungsschutz von irgendwas gehört hat. Irgendein Idiot zündet trotzdem noch eine Rauchbomben. Gebracht hat es also auch nix.

  2. dpa-Meldung von heute: „Der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann sagte am Samstag, bei drei Flüchtlingen sei der Einsatz von „einfachem unmittelbaren Zwang“ notwendig gewesen. Er betonte, Flüchtlinge hätten aus dem Bus heraus provozierende Gesten gemacht. „Aus meiner Sicht gibt es für das Vorgehen der Polizei keinerlei Konsequenzen“, so der Polizeipräsident weiter.“
    Bestätigt (leider) wieder die Ansicht, dass die sächsische Polizei Vollstreckungsgehilfe des Pöbels ist. Aber was will man anders erwarten, wenn man die windelweichen Erklärungen von Innenminister Ulbig zu diesem und anderen Vorfällen hört? Und dann noch ein offen fremdenfeindlicher AfD-Heimleiter.
    Danke für den Beitrag – ich bin nur noch sprachlos.
    Ich biete Asyl in Karlsruhe an – alles scheint im Moment besser zu sein als Sachsen, so leid es mir für die aufrechten Demokraten dort tut.

    1. Danke für das Angebot 🙂

      Es ist schon erschütternd, wie sich die Verhältnisse hier scheinbar umgekehrt haben. Und vor allem, dass von den Verantwortlich nicht nur niemand schnallt, was hier schief läuft, sondern nicht mal, dass überhaupt etwas schief läuft.
      Tillich und Ulbig sind bestimmt ganz fassungslos, dass jetzt Helfer ihre Party absagen und man ihnen die Verantwortung für die Misere in Sachsen gibt. Man könnte fast Mitleid haben. Fast.

  3. mann hätte auch in den bus einsteigen und das verängstigte mentsch schützend in den arm nehmen können
    – mehr fällt mir dazu nicht ein, denn immer wieder sitze ich (5) neben kleiner schwester und den eltern, die vor angst stinken, dass VoPo (oder so) uns auf den letzten metern vor dem rettenden notaufnahmelager noch aus der U-bahn holt…
    neben allem anderen, was die pop!stolizei von amts+gesetzes wegen sonst noch hätte tun können.

    auf https://treueliebe.wordpress.com/ mag ich dazu nichts schreiben, ich käme sonst aus den flashbacks garnicht mehr raus. die im taz-kommentariat zum asylpaket II machen mir schon genug zu schaffen.

    1. Ja, das hätte man machen können. Oder viele andere Dinge, die besser gewesen wären als die verrohte Handlung eines überforderten Staatsbeamten.
      Danke für’s teilen eines Teils Deiner Geschichte!

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