Blick nach Vorn – Skepkon 2015

Eine Frage, die nach meinem Vortrag gestellt wurde, habe ich mir in den Vorbereitungen dazu ebenfalls gestellt: Wenn es, wie ich behaupte, für das Individuum einen Nutzen haben kann, irrationalen Glaubenssystemen anzuhängen, ist es dann überhaupt sinnvoll, dagegen zu argumentieren?

Ich denke ja. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein sehr hartnäckiger Diskussionspartner bin, wenn es um diese Fragen geht. Allerdings ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, was „wir“ wollen. Da ich nicht für den Verein sprechen kann, versuche ich an dieser Stelle einmal, besser herauszuarbeiten, worum es mir geht. Ich nehme als Beispiel die Homöopathie, weil „mein Bereich“ die Alternativmedizin und die Homöopathie die Mutter aller pseudomedizinischen Verfahren ist.

In der heutigen Medizin hat die Autonomie der Menschen einen sehr hohen Stellenwert. Es wird immer Beispiele aus dem Alltag geben, die dem widersprechen, weil Individuen diese Autonomie nicht achten. Im System wird aber ein möglichst hohes Maß an Autonomie des Individuums angestrebt. Pseudomedizinische Verfahren, wie die Homöopathie, untergraben die Autonomie des Menschen, u.a. weil sei intransparent sind. Sie funktionieren nur, wenn bestimmte Informationen den Anwendern von Beginn an vorenthalten werden. Diese Intransparenz selbst ist ein weiteres zentrales Problem pseudomedizinischer Verfahren. Fragen von Patienten können nicht transparent beantwortet werden, weil die Grundannahmen nicht belegbar sind. Bei der Homöopathie sind sie sogar widerlegt. Die Methoden sind nur für Eingeweihte nachvollziehbar und damit kommen wir zu einem weiteren Aspekt der Transparenz. Da in der Homöopathie jeder alles behaupten kann, gibt es keine Maßstäbe, anhand derer diese Methode überprüft werden könnte. Wenn wir Homöopathie zulassen, können wir alles zulassen. Erwähnt sei hier die „Slapping-Therapy“ (Schlag-Therapie), der kürzlich ein Siebenjähriger Junge in Australien zum Opfer fiel (Man könnte sagen, alle Anwender fallen ihr zum Opfer, aber der Junge ist daran gestorben). Dieses extreme Beispiel nehme ich, weil die Mechanismen, mit denen die Therapien begründet werden, überall dieselben sind: „Ich sehe doch, dass es hilft.“ „Wer heilt, hat Recht“ usw usf.

Ein weiterer Faktor, den ich problematisch finde, ist die Ideologie, die vielen pseudomedizinischen Verfahren innewohnt. Ein mehr oder weniger pseudodarwinistischer Ansatz findet sich fast überall: Wer stirbt, ist auf die eine oder andere Weise selbst Schuld. Schuld spielt gerade in der Homöopathie eine nicht unerhebliche Rolle, wird doch das Grundleiden, die Ur-Ursache aller Störungen der Lebenskraft, mit dem Sündenfall im Paradies begründet. Damit haftet der Homöopathie nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie etwas Religiöses an. Darum sollten wir uns auch überlegen, konsequent von ideologischer Medizin zu sprechen.

In seinem Vortrag zum Thema Coaching sprach Professor Kanning, dass Ziele möglichst Konkret und messbar (auch „abrechenbar“) formuliert sein sollten. Darum werden ich als nächstes versuchen, diese Ziele für die Homöopathie zu formulieren:

  1.  Aufhebung des Binnenkonsens
  2.  Abschaffen aller durch die Ärztekammern legitimierten Zusatzbezeichnungen
  3.  Abschaffung der Apothekenpflicht (sowohl, dass Apotheken verpflichtet sind, H. zu führen, als auch, das H. nur in Apotheken geführt werden darf).

Diese drei Ziele würden zum einen dafür sorgen, dass das Thema Homöopathie mehr in die Öffentlichkeit gezogen wird. Homöopathen müssten sich erklären, warum sie anderen Maßstäben unterliegen als Pharmakonzeren. Das erreichen der Ziele würde der Homöopathie einen Tiel ihres Nimbus nehmen.

Als allgemeines Ziel wäre zu überlegen, ob das Unmöglichkeitsprinzip dazu genutzt werden kann, die Therapiefreiheit von ÄrztInnen auf ein sinnvolles Maß zu beschränken. Das ist aber sicher ein Problem mit welchem sich Juristen beschäftigen sollten.

Wir werden jedoch nicht die Bedürfnisse der Menschen aus der Welt schaffen, die dafür sorgen, dass Menschen ideologische Medizin für sich als sinnvoll betrachten. Wenn wir wirklich wollen, dass Medizin transparent und evidenzbasiert ist, müssen wir fragen, was Menschen von dieser Art von Medizin erwarten. Erst wenn wir diese Antwort kennen, haben wir eine Chance am Kernproblem etwas zu ändern.

2 Gedanken zu “Blick nach Vorn – Skepkon 2015

  1. Jan,
    Dein Vortrag auf der Skepkon hat mich etwas nachdenklich gemacht. Bisher ging ich davon aus, dass Homöopathie (über Kontexteffekte hinaus) keine medizinische Wirkung zeigt, der Patient allerdings ein gewisses Risko eingeht. Dieses besteht darin, einer medikamentös unwirksamen Therapie eventuell zu lange zu vertrauen und dadurch am Ende einen Schaden zu erleiden. Somit war die Bilanz eindeutig negativ. Einem potenziellen Schaden stand kein Vorteil gegenüber.

    Jetzt aber stellt es sich so dar, dass möglicherweise eine Vielzahl von potenziellen Patienten einen Nutzen erzielt, indem sie im Sinne des Konzepts der Salutogenese an eine Beherrschbarkeit gesundheitlicher Probleme glauben. Vielleicht sogar eine Verstehbarkeit annehmen können (‚Verstimmte Lebenskraft‘). Für mich liegt das durchaus auf dem Niveau eines Talismans oder ein Glaube an einen Gott – aber wenn ‚viele‘ einen vielleicht kleinen Nutzen haben und nur ‚wenige‘ das Risiko eines größeren Schadens – wäre die Welt dann wirklich besser ohne Homöopathie, andere alternativmedizinische Heilslehren oder die ganze Esoterik?

    Wären Menschen als emotionale Wesen überhaupt in der Lage, in einer kalten Welt der Fakten zu überleben – oder brauchen sie die Illusionen, die ihnen die genannten Heilsbringer bieten?

    Ist die Bilanz für die Homöopathie wirklich negativ und ist es daher richtig, dagegen zu agieren?

    1. Lieber Norbert,

      vielen dank für deinen kommentar. er hat mich bewegt auch nochmal über die frage nachzudenken. meine antwort, ob es richtig ist, gegen homöopathie zu agieren bleibt „Ja“. gerade deine arbeit der nüchternen rationalen analyse halte ich für sehr wichtig.

      ich werde versuchen, hier nochmal darzulegen, wie ich zu dem Schluss komme. an erster stelle ist es ist es mir wichtig zu sagen, dass ich das argument, dass Individuen schaden durch homöopathische behandlung nehmen können als eines der schwächeren argumente dagegen empfinde. denn wenn es darum ginge, vermeidbaren schaden von menschen abzuwenden, gäbe es lohnendere betätigungsfelder. mir geht es darum, dass die homöopathie durch die mechanismen funktioniert, die in der medizin zu schlechten entscheidungen führen können. nämlich die höherbewertung eigener erfahrung über wissenschaftlichen ergebnissen. solange mediziner der meinung sind, das mit den globuli ist alles nicht so schlimm, läuft noch etwas falsch in der medizin, die Homöopathie und andere pseudomedizin ist wie ein trojanisches pferd mit dem unkritisches denken in die medizin einzig hält. das ist auch ein grund, warum ich gerne mal sehen würde, wie analysen, wie studien von echten medikamenten weg kommen würden, wenn du sie dir vornimmst. aber das ist ein anderes thema. also, der erste grund, gegen h. zu agieren ist die wichtigkeit kritisches denken in der Medizin zu etablieren. und solange magie platz in der Medizin hat und nicht nur geduldet sondern hofiert wird, haben wir noch Arbeit vor uns.
      wichtig ist dabei auch, dass ein grund, warum menschen pseudomedizin nutzen, die tatsache ist, dass sie angeboten wird.
      ich sehe mich, ohne jetzt pathetisch sein zu wollen als aufklärer. als aufklärer biete ich informationen an. was die menschen mit den informationen machen, ist ihre sache. so, wie wir nicht in eine kirchliche trauerfeier rennen und den anwesenden sagen, dass es keinen gott gibt und ihnen argumente dafür liefern, so rennen wir nicht in die praxen der quacksalber und drängen den patienten unsere informationen auf. aber, wenn ein mensch bereit ist, seine sicht der dinge zu hinterfragen, sind wir da, bieten informationen, erklärungen und eine andere sicht auf die welt. ich kann deine „sorge“ verstehen. allerdings denke ich, dass wir die menschen nicht unterschätzen sollten. die menschen entscheiden, ob sie an etwas glauben wollen oder nicht. und sie entscheiden, ob sie bereit sind unseren argumenten zu folgen. zentral finde ich dabei den gedanken, dass menschen sich der h. zuwenden, weil sie ein bedürfnis befriedigen wollen. sei es die verstehbarkeit und die handhabbarkeit. dieses Bedürfnis muss aber nicht durch homöopathie gefüllt werden, sie ist nur eine möglichkeit, die bedürfnisse zu stillen. aus meiner sicht die schlechteste, weil es eine illusion ist. dieser illusion gibt es nur, weil menschen sie aufbauen und aufrecht erhalten.
      in meinem Vortrag habe ich erklärt, dass menschen h. nutzen, weil sie das bedürfnis nach handhabbarkeit haben. dabei ging es darum zu erklären, dass menschen nicht krank sind weil sie irrational handeln. ich habe nicht gesagt, dass h. eine adäquate möglichkeit ist, das bedürfnis nach handhabbarkeit zu stillen. es handelt sich um die Illusion von Kontrolle.
      und damit komme ich zu weiteren gründen, warum ich gegen h. bin und auch aktiv bin. sie untergräbt die autonomie von menschen. sie hält menschen abhängig und unaufgeklärt. und so schadet sie, individuen und uns als gesellschaft.
      darum denke ich auch nicht, dass wir gegen h. agieren, sondern darauf reagieren. WIR haben nicht angefangen.

      „Wären Menschen als emotionale Wesen überhaupt in der Lage, in einer kalten Welt der Fakten zu überleben – oder brauchen sie die Illusionen, die ihnen die genannten Heilsbringer bieten?“

      klar, du und ich und viele andere menschen, die sich an fakten halten leben doch in dieser welt. ich zumindest empfinde sie nicht als kalt. und ich habe dieselben bedürfnisse wie menschen die an h. glauben. auf der Konferenz habe ich einige irrationale dinge genannt, an die ich glaube und das obwohl ich weiß, dass die fakten diese nicht hergeben. ich habe mich aber frei entschieden, an diese dinge zu glauben.

      ich denke, diese frage und die von dir angesprochenen fragen werden mir noch eine weile durch den kopf gehen. ich werde versuchen, sie in den text im Skeptiker einfließen zu lassen. ich hoffe, es ist einigermaßen klar geworden, was ich meine, ich bin nach der arbeit manchmal nicht mehr ganz in der Lage, meine gedanken gut zu bündeln.

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