Dr. Martin Hirte im Interview

Leider hänge ich ein wenig meinem Zeitplan hinterher, so dass auch diese Woche wohl kein 10. Teil der Serie zum Buch „Impfen Pro & Contra“ von Dr. Martin Hirte erscheint. Doch kürzlich fand ein Kongress zum Thema Impfen statt. Ausgerichtet wurde er vom Verein „Gesundheit aktiv“, der personelle und inhaltliche Überschneidungen mit den Verein „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung“ zu haben scheint. Dr. Martin Hirte ist Mitglied in dem Verein und verweist in seinem Buch immer wieder auf dessen Positionen.

In einem kurzen Interview nimmt Hirte im Rahmen des Kongresses Stellung zu der Frage, wie das „Vertrauen beim Thema Impfen“ (?) wieder hergestellt werden kann. Das Video ist aufschlussreich und passt hervorragend zur Strategie, die er in seinem Buch verwendet: Andeuten, implizieren, unterstellen.

Folgende Aussagen tätigt Hirte in dieser Minute:

  • Er behauptet, die Empfehlungen der STIKO würden maßgeblich von Interessenkonflikten beeinflusst. Dafür gibt es keine Belege.
  • Er behauptet, die Mitglieder de STIKO würden nur den Nutzen von Impfungen beachten, nicht deren Risiken. Dafür gibt es ebenfalls keine Belege.
  • KinderärztInnen informieren nicht vernünftig über die Risiken von Impfungen. Dies müsse „ergebnisoffen“ geschehen. Die KollegInnen sollten die Entscheidung der Eltern „mittragen“.
  • KinderärztInnen impfen auch dann, wenn Eltern nicht wollen, weil „Ärzte auf Linie“ (Anm.: mit der STIKO) sind. Das ist rechtlich natürlich nicht möglich und KollegInnen, die das machen, würden arge Probleme bekommen. Was Hirte vielleicht meint, ist, dass ÄrztInnen ihren Patienten dringend ans Herz legen, sich impfen zu lassen. Das ist allerdings auch ihre Pflicht.

Auf der Veranstaltung gab es eine Podiumsdiskussion, an der auch zwei Mitglieder der STIKO teilgenommen hatten. Der Moderator, Dr. Stefan Schmidt-Troschke, wünschte sich mehrfach einen „konstruktiven Dialog“ und weniger Abwertung der Impfgegner („Impfgegner“ ist meine Wortwahl, nicht seine). Hirtes Interview unterminiert diesen Wunsch.

In der Podiumsdiskussion haben die Mitglieder der STIKO skizziert, wie die STIKO zu Entscheidungen kommt. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass die Mitglieder der STIKO die Datenlage und die Erhebung für einige Impfungen ähnlich problematisch bewerten, wie die „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung“. Der entscheidende Unterschied liegt in der Bewertung der vorhandenen Daten. Im Kontext dieser Podiumsdiskussion sind die Äußerungen von Hirte in diesem Interview unlauter. Er bleibt seinen Aussagen aus seinem Buch jedoch treu. Das ist auch schon was.

Mich würde ja interessieren, was die pädiatrischen KollegInnen von den Äußerungen Hirtes halten, wenn er ihre Beratung zu Impfungen, ihre angeblich unkritische Haltung gegenüber den Empfehlungen der STIKO sowie ihr Selbstverständnis als ÄrztInnen gegenüber Eltern beschreibt. Da wird das Bild eines obrigkeitshörigen, autoritären und undifferenziert denkenden sowie handelnden Menschen gezeichnet. Ich will nicht ausschließen, dass es solche Menschen gibt und dass solche Menschen Medizin praktizieren. Ich bezweifle jedoch, dass das für die Mehrheit der PädiaterInnen in Deutschland gilt.

Ich finde ja, dass ich keine Entscheidung von Eltern mittragen muss, die nicht meinem professionellen Verständnis entspricht. Trotzdem kann ich Eltern und ihr Kind weiter begleiten. Aber ich kann auch entscheiden, das nicht mittragen zu wollen und den Eltern empfehlen, sich einen anderen Arzt zu suchen.

In der Podiumsdiskussion hat Prof. Dr. Thomas Mertens (Vorsitzender Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO)) den Umgang mit Daten vonseiten der „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung“ kritisiert. Hirte überspringt im Interview sachliche Kritik und entscheidet sich für ad hominem Rhetorik. Wie gesagt, er bleibt sich treu. Mein Vertrauen in seine Einschätzungen hat dieses Interview nicht gefördert.

Ich hoffe, dass diese Diskussion ein Versuch der STIKO war, durch das Signal von Gesprächsbereitschaft Vertrauen von Menschen mit impfskeptischer Haltung zurückzugewinnen. Ich gehe davon aus, dass die Mitglieder an den Stellen, an denen die Kritik sachlich begründet ist, nachbessern. Ich hoffe jedoch vor allem, dass die Mitglieder der STIKO nicht Ärzte, die durch ihre anthroposophische Haltung einen weltanschaulich gefärbten Blick auf Impfungen haben, an dieser Stelle ernst nimmt.

 

Weiterlesen:

Der GWUP-Blog verweist auf einen großartigen Eintrag, der mit vielen Impfgegnerargumenten aufräumt. Ich werde mich dort sicher auch bedienen 😉

Joseph Kuhn macht sich Gedanken über den Erfolg von Masernimpfungen und zeichnet ein vorsichtig optimistisches Bild, in einem Beitrag der sich wohltuend sachlich liest.

Ein Gedanke zu “Dr. Martin Hirte im Interview

  1. In der Kollegenschaft wird Hirte belächelt. Er bedient das lukrative private Münchner Klientel. Sein Buch ist natürlich sehr einseitig und Hirte lässt sich ebenso (gerne) vor den Karren spannen, wie über 90% der Kinderärzte in seinen Augen.
    Sehr anmaßend, den Kollegen abzusprechen, nicht informiert zu sein oder nicht zu informieren. Bei impfkritischen Ärzten ist es eher so: „Diese oder jene Impfung (oder keine) brauchen Sie.“ Über den Rest oder die STIKO-Empfehlung wird oft nicht informiert.
    Danke fürs Auseinanderpflücken des Hirte´ Buches.

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