Meine Möglichkeiten, als Jugendlicher Zugang zu Bildern von unbekleideten Menschen zu erhalten, beschränkten sich auf die Bravo und den Stern. Ich erinnere mich an eine Ausgabe mit Bildern von Helmut Newton, die ich gehütet habe, wie meinen Augapfel. In der Bravo gab es mal eine Serie, für die sich in jeder Ausgabe „normale LeserInnen“ nackt ablichteten. Bewegt wurden die Bilder in meinem Kopf, wenn ich „Mein erstes Mal“ las…wobei die Texte oft auch unfreiwillig komisch waren. Ich komme mir ein bisschen alt vor, wenn ich mit Wehmut daran denke, wie harmlos dieser erste Einstieg in Sexualität war.
Ich erinnere mich allerdings auch daran, dass mir mit 11 oder 12 Jahren ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft Bilder aus seinen Pornoheften zeigte, die ich verstörend aber auch spannend fand. Ihn und seine Reaktion fand ich aber vor allem ekelig. Geschadet hat es mir nicht1.
Es nützt nichts, sich darüber zu beschweren – der Kollege Manfred Spitzer wird es trotzdem machen- Porno gehört jetzt für viele Kinder und Jugendliche zum Einstieg in die Sexualität. Unser Einfluss auf das Raum-Zeit-Kontinuum ist begrenzt, so dass die Möglichkeit, explizite Inhalte wieder unzugänglicher aufzubewahren, nicht zurückkehren wird. Wie sollten wir damit umgehen, dass Kinder und Jugendliche jederzeit Zugang zu Medien haben, von denen wir sie eigentlich fernhalten möchten? Zumindest so lange bis… ? Wir als „Elterngeneration“ (da lösen sich gleich ein paar Pigmente im Haaransatz auf) müssen uns mit der Wirklichkeit auseinandersetzen, der Kinder und Jugendliche heute ausgesetzt sind. Die „neuen“ Möglichkeiten der Kommunikation stellen Kinder und Jugendliche vor Herausforderungen, für die es wenig Erfahrung gibt2.
Neben dem Aufklärungsgespräch, wird es in Zukunft wohl auch einen Porno-Talk geben. Damit erhöht sich die Anzahl Gelegenheiten schamhaften Rumdrucksens und verlegenen zu Boden Schauens im Familienkreis. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich Verbote in dieser Hinsicht für vollkommen sinnlos und kontraproduktiv halte3. In diesem Gespräch sollte vermittelt werden, dass die Darstellungen in Pornos so unrealistisch sind, wie die Darstellungen der Wirklichkeit in anderen Filmen. Mein Vater sagte immer, wenn jemand in Wirklichkeit so geschlagen würde, wie in vielen Filmen, wäre er tot. Heute würde ich ergänzen, dass die Hand des Gegenübers zertrümmert wäre. Wichtig ist auch, dass das, was man dort sieht im Einvernehmen geschieht4, selbst wenn es manchmal nicht so aussieht. Ich halte das für wichtig, weil sonst ohnehin verstörende Szenen, unnötig emotional aufgeladen werden.
Sex wird, wie alles, gelernt. Pornos dienen der Unterhaltung, sie haben in der Regel keinen Bildungsauftrag5. Um athletische Höchstleistungen wie in Pornos vollbringen zu können, braucht es vermutlich eine turnerische Grundausbildung. Ob das Freude bereitet, steht auf einem anderen Blatt. Das größte Sexualorgan ist das Gehirn, welches lustigerweise in den meisten Pornos ausgespart bleibt6. Jugendliche sollte vermittelt werden, dass Sex nicht durch schöne Körper, sondern durch schöne Gedanken entsteht7.
Das Internet bewirkt, dass Dinge sichtbar werden, auch unreifes Verhalten von Jugendlichen. Kindheit und Jugend sind Übungsphasen und durch Soziale Medien und Messengerdiensten, mit denen Bilder, Videos und andere Daten verschickt werden können, findet ein intimer Teil dieser Übungsphase nicht mehr im Verborgenen statt. Das bedeutet nicht, dass etwas im Kern anders ist. Das bedeutet nur das etwas sichtbar ist. Und das bedeutet auch dass der Schaden der angerichtet werden kann eventuell höher ist. Der Schaden hängt aber auch davon ab wie wir auf das Verhalten von Jugendlichen reagieren.
Wenn Jugendliche sich gegenseitig explizites Bildmaterial von sich selbst schicken, müssen sie sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein. Diese Bilder bleiben8. Gerade Mädchen und junge Frauen scheinen von Jungen und jungen Männern dazu genötigt werden, Bilder von sich zu verschicken. Kinder sollten noch mehr als bisher lernen, sich von sozialem Druck abzugrenzen und sich Hilfe zu suchen, wenn sie Schwierigkeiten damit haben. Wenn Eltern es geschafft haben, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen sowie deutlich zu machen, dass auch intime Dinge bei ihnen sicher aufgehoben sind, ist die Chance höher, dass Kinder auch solche Probleme zu ihnen bringen.
Wenn die Diskussion über Sexualität und deren medialer Darstellung moralisch aufgeladen ist und das Interesse von Jugendlichen daran abgewertet wird, werden sie diese Phase allein bewältigen. Das hat natürlich früher auch schon funktioniert. Allerdings hat es zu der Generation geführt, die die Pornos anschaut, die aktuell produziert werden.
- Ein Satz den in der Regel Menschen verwenden, die als Kinder geschlagen wurden und diese Erziehungstradition gerne fortführen möchten. ↩
- Das ist weniger dramatisch als es klingt, auch Romane, Fernsehen und „die Pille“ hat zu Situationen geführt, die für alle Beteiligten neu waren. Wenig hilfreich waren in der Regel Interventionen, die moralisch aufgeladen waren und mit Macht durchgesetzt werden sollten. ↩
- „Videos mit Missionarstellung kannst Du Dir anschauen, wenn es heterosexuelle Paare sind, Sex von hinten kommt mir nicht ins Haus!!!“ ↩
- Man kann darüber streiten, ob die jungen Menschen, die sich in die Pornoindustrie in den USA begeben, wissen, was sie dort machen und sich der vollen Tragweite ihrer Entscheidung bewusst sind. Rechtlich machen sie das jedoch freiwillig. ↩
- Ein möglicher Weg, Jugendlichen die Lust auf den Konsum bewegter Nacktbilder zu verleiden, wären explizite Filme der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung, die im Klassenverband angesehen und besprochen werden. ↩
- Der alte Sack in mir präsentiert: Ein billiger Scherz mit kulturpessimistischer Note. ↩
- Schöne Körper können natürlich Gedanken beeinflussen, liegen jedoch auch im Auge des Betrachters, der von Gedanken beeinflusst wird. ↩
- Solange es keine technische Lösung gibt, die das sicher verhindert. ↩