Der große Mao Zedong kichert leise in seinem Grab. Über uns. Aus Mangel an ausgebildeten Ärzten, wurden zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung im China der 50er Jahre sogenannte „Barfußdoktoren“ ausgebildet. In einer kurzen Ausbildung brachte man ihnen ein paar Grundlagen zu Medizin und vor allem Hygiene bei, die sie unter die Menschen bringen sollten. Sie erhielten ein kleines Buch mit den wichtigsten Informationen zu ein paar Medikamenten für akute Erkrankungen. Da in China Medikamente rar waren und man davon ausging, dass es besser sei, den Menschen irgendetwas anzubieten als nichts, stand im hinteren Teil dieses Buches etwas zur chinesischen Volksmedizin. Ein Potpourri verschiedener Therapieschulen, wild zusammengemixt. Das ist der Kern der heutigen „traditionellen“ chinesischen Medizin. Wir sind Maos Resteverwerter.
Im Ärzteblatt wurde kürzlich über den Internationalen Kongress traditioneller asiatischer Medizin berichtet und unkritisch dargelegt, was Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) und einige Experten dazu zu sagen hatten. Es zeigt, wie tief magisches Denken in der deutschen Ärzteschaft verankert ist und wie erfolgreich das Marketing der alternativen Medizinindustrie war und ist.
Da das Ärzteblatt es nicht schafft, die Äußerungen kritisch einzuordnen, soll dies an dieser Stelle versucht werden.
Traditionelle asiatische Medizin etwa aus China, Tibet, Nepal oder Indien sollte von der westlichen Schulmedizin mit größerer Offenheit als bisher vorurteilsfrei geprüft und genutzt werden.
Für Vorurteile sorgen vor allem die Befürworter selbst, weil sie sich Marketingbegriffen wie „Traditionelle xxx Medizin“ bedienen. Die Vorurteile sind dabei gewollt, sie sollen jedoch nur in die positive Richtung wirken. Der Begriff „Traditionelle xxx Medizin“ (TxM) soll beim Publikum genau den Eindruck hervorrufen, den der Minister später wohlfeil wiederholen wird: Ganzheitlich, natürlich, alt, sanft u. s. w. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass diese – durch die Industrie selbst erfolgreich hervorgerufenen – Vorurteile jetzt von kritischen VertreterInnen der Ärzteschaft aufgegriffen und hinterfragt werden und ein Minister sie bittet, das nicht zu tun.
Garg forderte, Ärzte und Patienten sollten frei über ihre medizinische Behandlung entscheiden können – innerhalb eines gesetzlichen Rahmens, der die Sicherheit der Patienten garantiere.
Was will uns der Minister mit dieser Aussage vermitteln? Dass es anders sei? Dass heute Menschen dazu gezwungen würden, eine Behandlung durchzuführen, die sie nicht wollen1. Wahrscheinlich meint er das „marktliberal“, in dem Sinne, dass alles erlaubt sein müsse, was nachgefragt werde. Warum sollten wir dann aber bei TxM stehen bleiben? Auch Astrologie bietet hervorragende Anknüpfungspunkte um eine Therapieform daraus zu entwickeln, traditionell ist die auch und ganzheitlich sowieso. Wie Hohn wirkt die Aussage, der „gesetzliche Rahmen“ garantiere die Sicherheit der Patienten. Zum einen kann es keine Garantie für Sicherheit geben (ich dachte, als Liberaler sauge man das mit der Muttermilch auf), zum anderen gab es erst im letzten Jahr ein tragisches Beispiel, wie lax der Gesetzgeber es mit der Sicherheit von Patienten von TxM2 nimmt.
Der liberale Politiker warnte, dass die zunehmende Standardisierung und der Blick nur auf ökonomische Faktoren zu einem gefährlichen Verlust des Kontaktes mit den Patienten führen könne.
Man stelle sich einmal vor, der Minister hielte eine Rede vor der deutschen Industrie und versuche, für das Konzept des „Traditionellen asiatischen Maschinenbaus“ einzutreten und die Aufhebung der deutschen Industrienorm (DIN) zu fordern. Die Vertreter würden herzlich lachen und für den satirischen Beitrag danken. Mediziner nehmen das ernst.
Einen Kommentar darüber, dass ein FDP-Politiker über den „Blick auf ökonomische Faktoren“ in der Medizin Krokodilstränen vergießt, spare ich mir lieber. Wer alles einer ökonomischen Logik unterzieht und die Gesundheit der Menschen als Ware betrachtet, kann sich doch nicht darüber wundern, dass Teilnehmer des Systems den Blick mehr und mehr auf ökonomische Faktoren richten.
Asiatische Medizin setze auf die Selbstheilungskräfte und habe einen ganzheitlichen Ansatz.
Jeder Chirurg setzt auf die Selbstheilungskräfte. Gebe es sie nicht, wüchsen Operationswunden nämlich nicht zu. Was das Wort ‚ganzheitlich‘ angeht, handelt es sich auch um einen Marketingbegriff, der ein heimeliges Gefühl hervorrufen soll, jedoch keine konkrete oder nützliche Information transportiert.
Europäische Gesundheitssysteme könnten hiervon lernen, sich nicht nur auf den körperlichen Zustand zu konzentrieren. Mentale, soziale und auch spirituelle Aspekte seien wichtige Kofaktoren.
Man kann mit so schön klingenden Worten einen Großteil der Menschen, die im deutschen Gesundheitssystem arbeiten, ganzheitlich abwatschen. Jede Pflegekraft, die einem Patienten ermutigende oder tröstende Worte zuspricht, kümmert sich um mentale Aspekte. Das wird nur nicht so aufgeblasen, sondern als normal angesehen (und schlecht bezahlt, ökonomische Faktoren und so). Leider ist der Druck im Gesundheitssystem so hoch, dass das Personal oft so gestresst es, dass es einfach keine Ressourcen für diese Worte hat. Daran wird aber auch keine irgendwie geartete TxM etwas ändern, sondern allein politischer Wille.
Case Manager kümmern sich in deutschen Kliniken um wichtige sozialen Aspekte und organisieren beispielsweise außerhäusliche Pflege. In der Psychotherapie, die auch zur Medizin gehört, sind soziale Aspekte ein integraler Bestandteil.
Auf spirituellen Aspekten liegt sicherlich kein Fokus im deutschen Gesundheitssystem. Man kann darüber streiten, ob solch ein Fokus die Aufgabe eines Gesundheitssystems ist oder sein kann. Wenn, dann wird es eine komplexe Aufgabe. In der Rede von Garg erscheint es so, als sei Spiritualität etwas, wofür man keine Spezialisten bräuchte. So als könnte jeder Arzt, jede Schwester einfach mal so die spirituellen Bedürfnisse von Patienten stillen. Ohne eine konkrete Idee, was damit gemeint ist, handelt es sich um einer weitere hohle Phrase.
Es solle untersucht werden, ob Braunalgen und Tang Wirkstoffe zur Behandlung von Augenleiden bцten, berichtete Ralph Schneider vom Exzellenzcluster „Future Science“ und Direktor des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science. Er sprach von einem „Goldrausch nach marinen Wirkstoffen“.
Das ist keine TxM. Das ist medizinische Forschung. Nur weil eine Substanz in Asien entdeckt wird, gehört sie doch nicht zur TxM. Haftet jeder Substanz aus Asien etwas ganzheitlich, spirituelles an? Paclitaxel (ein Krebsmittel) wird auch nicht der „traditionellen amerikanischen Heilkunde“ zugerechnet, nur weil der Wirkstoff ursprünglich aus der Pazifischen Eibe gewonnen wurde. Wirkstoffe werden zu Medikamenten, wenn sich ihre Wirksamkeit im Rahmen eines standardisierten Prozesses hinreichend belegen lässt.
Laut Messner kaufen Pharmakonzerne zudem in Asien große Kräuterflächen auf.
Das ist kein Beleg für die Überlegenheit von TxM, sondern vom guten Marketing der Vergangenheit, von welchem die Pharmakonzerne profitieren wollen. In den USA beispielsweise werden TCM-Kräuter teilweise als Nahrungsergänzungsmittel verkauft und sind deutlich weniger reguliert als Medikamente. Es winken Profite.
Bluthochdruck ist nach Ansicht von Detlev Ganten von der Berliner Charité ein weiteres Beispiel für die begrenzte Reichweite konventioneller Tablettenbehandlung. Er selbst habe zusätzlich zu Tabletten seinen stressigen Lebensstil „im Hamsterrad“ umgestellt, nehme weniger Termine an und treibe mehr Sport.
Und wer hat ihm dazu geraten? Vermutlich sein schnöder Hausarzt, der stinklangweilige evidenzbasierte Leitlinien umsetzt, weil in Studien belegt wurde, dass eine Lebensstiländerung (so nennt man das, was der Herr Ganten gemacht hat) eine Verbesserung der Gesundheit bewirkt, die nachhaltiger ist, als die Einnahme von Tabletten. Leider, leider, können Patienten selbst entscheiden ob sie dem Rat ihrer Ärzte folgen werden und gerade Lebensstiländerungen fallen uns Menschen schwer. Wir handeln nämlich nicht immer so ganzheitlich, wie wir uns wünschen behandelt zu werden.
Die Wissenschaftler sprachen von einem großen Transformationsprozess in der westlichen Medizin.
Wann in den letzen 200 Jahren war die Medizin einmal nicht in einem „großen Transformationsprozess“. Im Moment ist er unter anderem durch die Verteilung von Ressourcen geprägt.
Bildung, Ernährung und Bewegung seien die drei wichtigen Parameter für Gesundheit, sagte Ganten. Er berichtete, wie schwierig es gewesen sei, an der Charité einen Lehrstuhl für alternative Medizin zu etablieren. „Inzwischen sind das die beliebtesten Vorlesungen.“
Was hat der erste Satz mit dem zweiten Satz zu tun? Wieso sind Bildung, Ernährung und Bewegung Teil der „alternativen Medizin“ nicht aber der Medizin?
Als Kernproblem nannte Ganten, der sich als begeisterter Verfechter der westlichen Medizin bekannte, die unterschiedlichen Kulturen und Denkweisen. Das streng kausale Denken des Westens sei in anderen Kulturen nicht verbreitet. „Es gibt keine Wahrheit, auch keine wissenschaftliche Wahrheit, es gibt nur Wahrscheinlichkeiten“, sagte Ganten.
Wahrscheinlich täte den Herren etwas mehr Strenge beim kausalen Denken ganz gut. Aber dann hätte Mao nichts mehr zu lachen.
Bild: Elefant mit Akupunkturpunkten; World Health Organization (WHO);
- Natürlich ist beinahe jede notwendige medizinische Behandlung ein Zwang, weil die meisten Menschen lieber keine Erkrankung und damit keine Behandlung hätten aber das meint er Minister vermutlich nicht. ↩
- Ich nutze den Begriff hier sehr locker, weil er nicht definiert ist und fast jede pseudomedizinische Methode sich darein pressen lässt. ↩
2 Gedanken zu “Exportschlager aus Asien – Magisches Denken”