Omas Tasche

„Was ist das denn?“ fragt mich ein junges Mitglied der Familie, 1. Kind meiner Schwester und noch nicht in der Schule. Es muss komisch aussehen, dieses hässliche rote Packet aus Kunstleder.

„Das ist eine Tasche von Oma.“ antworte ich und noch bevor mir ein ungläubiges „Oma!?“ entgegenkommt, fällt mir ein, dass das Kind seine Oma meint, die meine Mutter ist und ich meine Oma, die… „Ich meinte von Uroma, die kennst Du gar nicht mehr, die lebt schon lange nicht mehr.“ Nach ein paar kurzen Fragen zu Zeiträumen und Vergänglichkeit, was ja Hand in Hand geht, widmet sich das Kind anderen, wichtigeren Fragen: Wie weit fliegt dieser Papierflieger.

Ich bleibe noch ein wenig an der Tasche hängen und mir wird bewusst, dass ich diese Tasche seit 30 Jahren kenne und seit 20 Jahren nutze. Vermutlich hat meine Oma sie von der Sparkasse zum Weltspartag erhalten. Weltspartag. Das war mal ein wichtiges Datum in unserer Familie. Wenn ich sie früher besucht habe, sind wir mit der roten Tasche einkaufen gegangen. Manchmal war ich auch alleine unterwegs. Und dann war mir dieser fiese Lappen peinlich. Vielleicht könnte die Tasche eine Renaissance in der Hipsterkultur (ist man noch Hipster oder ist das schon vorbei?) erleben.

Wenn meine Oma uns besucht hat, ging sie immer einkaufen. Im beigen Mantel immer die rote Tasche verborgen. Meine Oma hatte die Einkaufstaschen immer zum bersten voll und meine Mutter hat sich immer geärgert, dass „alles verschimmelt“. Ich fand die vollen Taschen nicht so schlimm. Denn der Inhalt der Taschen, der mich interessierte, ist nie verschimmelt. Das hat meine Mutter auch gestört. Süßigkeiten hatten in Deutschland schon immer einen schlechten Leumund.

Als wäre die Tasche nicht schon peinlich genug, hat meine Oma sie eines Tages repariert als die Henkel herausgerissen waren. Die Reparatur hat mein Oma mittlerweile 25 Jahre überlebt. Das ist deutsche Wertarbeit. Diese merkwürdige Mischung aus Sparsamkeit und Verschwendung hatte ihre Wurzel wahrscheinlich im Krieg. Zumindest war das die Begründung meiner Mutter, wenn es um das Verhalten meiner Oma ging. Wenn ich das heute schreibe, klingt das merkwürdig. Unvorstellbar, dass in Deutschland Krieg geherrscht haben soll. Schaue ich mir an, was man heute in Sachsen wieder vertreten kann, ohne sich sofort ins gesellschaftliche Abseits zu katapultieren, bin ich mit diesem Gefühl anscheinend nicht allein. Nur sind meine Konsequenzen andere.

Irgendwann, ich weiß nicht mehr genau wann, habe ich die rote Tasche in meinen Rucksack gesteckt und hatte sie immer dabei. Wenn der Rucksack meinem Einkauf nicht genug Platz bot, habe ich einfach Omas rote Tasche rausgeholt und befüllt. Ich bin jedes Mal erstaunt, was diese, von meiner Oma hergestellten Nähte aushalten. Und so wie mir die Tasche früher peinlich war, bin ich heute ein wenig stolz darauf, diesen häßlichen Lappen aus meinem Rucksack zu pulen und den Reißverschluss zu öffnen. Ich könnte das Ding der Sparkasse anbieten, damit können die Werbung machen, für Beständigkeit oder so.

2 Gedanken zu “Omas Tasche

  1. Wunderschöne Geschichte! Kenne diese seltsame Kombi aus Sparsamkeit und Verschwendung auch – von den Großeltern, aber auch von der Nachkriegszeit, Hunger hat meinen Vater nachdrücklich geprägt. Seine Mutter war damals an zusammen mit seinem Bruder gestorben – beide an Typhus. Sein Vater hat neu geheiratet. – schnell, er hatte jaKinder zu versorgen noch. Die neue Frau Ebenso – und so war sie eine riesen Patchworkfamilie. In der Nachkriegszeit, mit einem Familienvater mit nur einem Arm aus einem Grubenunfall , im Ruhrpott. Hunger war das tägliche Brot.
    Eines Nachts wachte er auf, von einem Geruch nach Essen, der ihm im Magen weh tat. Er hatte fürchterlich Hunger. Aber das Zimmer, in dem er und seine Geschwister schliefen, war abgeschlossen.
    Seine Stiefmutter hatte Kartoffelschalen, zu wenige für alle, und so kochte sie für ihre Kinder, und sperrte die Stiefkinder ein.

    Ich habe meine Stiefoma noch kennengelernt – eine Herzensgute Frau, ich konnte mir das nie vorstellen. Mein Vater hat ihr nie verziehen. Ich bin Ende der 70 er geboren und eines musste ich nie erleben: Hunger. Ich war eines der wenigen Kinder, die freien Zugang zu allem hatten. Cola in der Grundschule, mein Lieblingsessen, Schokolade – was das Herz begehrte. Mein Vater schaute mir so unheimlich gerne beim essen zu. Und ich hatte so einen Spass am essen, bis heute noch.
    Als Kind war ich leider adipös, bis ich in der Pubertät lernte meine Nahrungsaufnahme gezielt zu steuern. Gesund und gut war das nicht – aber ich kann ihm nicht böse sein.
    In der Grundschule nannte mich ein Lehrer „krankhaft fett“ und widerlich – er stand am nächsten Tag vor dem Lehrer und hat ihm gedroht für den Fall, dass ich mir so etwas je anhören musste.
    Mein Vater hat viele Fehler – aber das war etwas, was ich heute mit Rührung sehe, auch wenn es pädagogisch nach Heurigem Standpunkt ein Supergau ist. Ich kenne sehr viele Geschichten von Leid, Not – aber auch der Ignoranz als Teil der SS-Maschinerie.
    Ich versuche all diese Geschichten meinen Kindern zu erzählen und die Familiengeschichte ein wenig lebendig zu halten. Wir leben heute in so einem unfassbaren Luxus, dass wir uns lange Gedanken machen können Was wir essen und welche Ernährungsform die beste ist.
    Das alles ist ein Zeichen des Überflusses – luxusprobleme.

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