Der Terrorist, das missverstandene Wesen

Ups! Ich haben mich auf Twitter gestritten. In diesem Fall ging es um das Zitat aus einem Artikel in Psychologie-Heute:

Atrans Forschung zeigt, dass die meisten, die sich dem Dschihad anschließen, eine gemäßigte und vorwiegend säkulare Erziehung hatten. Muslime, die religiös aufwachsen, scheinen sogar eher gegen eine Radikalisierung gefeit zu sein. Die meisten Gotteskrieger, so Atran, werden als ältere Teenager oder mit Anfang zwanzig „wiedergeboren“ und wissen wenig über den Islam.

Der Versuch, die Motive von Terroristen zu entschlüsseln, indem man sich mit dem Islam beschäftigt und den Koran studiert, ist nach Atrans Meinung nutzlos. Die Bemühungen, gemäßigte Imame zu fördern, bezeichnet er in seinem Buch als „irrelevant“. Schließlich wird nur selten jemand in einer Moschee zum Terroristen. Einige wurden im Gegenteil aus der Gemeinde ausgeschlossen, weil sie zu radikal waren.

Darauf wurde geantwortet:

„Wo sind die christl. oder buddhist. Selbstmordattentäter? Siehe Scott Atran vs Sam Harris“

Sam Harris vertritt, wie viel „New Atheists“ die Ansicht, Gewalt sei „dem Islam“ immanent. Harris fordert eine Reformation aus dem Islam heraus um diese Tendenz zu Gewalttätigkeit zu beenden.

Auf meine Frage, was der Einwurf mit dem Zitat aus dem Artikel zu habe, wurde geantwortet:

(Weil)… „dort behauptet wird, dass der Koran keine zentrale Rolle für die Motivation der Attentäter spielt.“

Wenn man den Artikel liest, wird schnell klar, dass es sich dabei nicht um eine Behauptung handelt, sondern um eine auf Evidenz begründete Aussage. Harris interpretiert die Daten jedoch anders als deren Urheber. Dafür muss er sich, auch von Seiten vieler Atheisten, Kritik gefallen lassen.

Harris ist Neurowissenschaftler, veröffentlicht Bücher zum Thema Glauben und debattiert ausgiebig zum Thema. Wenn er eine weniger polarisierende Sicht auf den Islam einnehmen würde, dürfte es für ihn schwerer werden, weiterhin in der Form aufzutreten und Bücher zu verkaufen. Dass heißt nicht, dass er falsch liegt. Das heißt nur, dass die Schwelle, ihn zu überzeugen höher liegen dürfte, als bei jemandem, dessen Einkommen weniger von seiner Meinung abhängt.

Scott Atran ist Anthropologe und scheint zu versuchen, Gewalt die von Islamisten ausgeht dort zu verstehen, wo sie entsteht: bei den Menschen. Einige Belege für seine Thesen werden in dem zitierten Artikel angeführt. Das heißt nicht, dass er Recht hat. Aber es bedarf mehr als eines „aber trotzdem“ um die Belege zu entkräften.

Wenn ich Harris (und vielen „Islamkritikern“ in Deutschland) etwas vorwerfe, dann, dass sie implizieren, dass Menschen, die dem Islam anhängen, anders sind als die Gruppe von Menschen, der sich die Kritiker gerade zugehörig fühlen. Wir werden aber nicht verstehen, warum Menschen handeln, wie sie handeln, wenn wir uns im „Othering“ üben. Atran macht die Selbstmordatentäter und Djiahdisten wieder zu Menschen. Menschen mit Gefühlen, Sehnsüchten, Freunden. Menschen wie „wir“. Das kann natürlich nicht sein, sonst würden sie ja nicht solch monströse Handlungen begehen.

Atrans Ergebnisse bedeuten nicht, dass der Koran und eine bestimmte Kultur innerhalb des Islam nicht dazu beitragen können, dass Menschen durch Paris laufen und ihre Artgenossen abknallen. Religionen können dazu genutzt werden, dass „gute“ Menschen „böse“ Taten begehen. So wie jede Ideologie. An anderer Stelle zitierte ich bereits Hitchens:

“Name one ethical statement made, or one ethical action performed, by a believer that could not have been uttered or done by a nonbeliever. Think of a wicked statement made, or an evil action performed, precisely because of religious faith?”

Mir scheint jedoch, dass Religion (oder andere Ideologien) eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung dafür ist. Nun haben wir „den Islam“ als eine mögliche notwendige Bedingung identifiziert. Wenn wir eine Lösung wollen, müssen wir auch den Rest rausfinden. Auf Harris und andere „besorgte“ Islamkritiker scheinen wir da nicht zählen zu können.

Ein ähnliche Dämonisierung von Menschen kennen wir aus der Verarbeitung der deutschen Geschichte. Die Täter des Nazireiches wurden zu Monstern erklärt. Dabei waren es Väter und Söhne, Mütter und Töchter. Ganz „normale“ Menschen. Denn gerade weil sie Menschen sind, wie wir, begingen und begehen sie monströse Taten. Das Monster schlummert in jedem von uns. Das einzusehen befreit und nimmt die Angst.

Roooaahhhhhrrrrrr!

Ein Gedanke zu “Der Terrorist, das missverstandene Wesen

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