Journalismus wie von der Tarantel gebissen

Das Werbeblättchen Eltern, Kind + Kegel hatte in der Vergangenheit bereits einen Auftritt in diesem Blog, als dort unseriös über Impfen berichtet wurde. Seitdem blättere ich das Heft immer mal durch, um meine Rolle als ARO (AußerRedaktionelle Opposition) zu erfüllen. Dass in jedem Heft, in redaktionell anmutenden Texten, ungeniert für Apotheken und deren Globuliangebot in geworben wird, hatte ich bereits im letzten Text erwähnt. Eine Praxis die man beibehält. So füllt sich das Heft und die Kasse.

Einen besonders gelungenen journalistischen Kunstfehlers möchte ich an dieser Stelle würdigen. Es geht um Zeckenstiche und das Risiko einer FSME-Infektion. Das ganze wird unter der Rubrik „Kinderarztfragen“ abgehandelt. Kinderärzte kommen jedoch nicht zu Wort. Dafür eine Heilpraktikerin und ein PTA aus einer namentlich erwähnten Apotheke.

Die Autorin („elm“) hat wahrscheinlich nicht mal den Versuch gemacht, für den Artikel außerhalb des Kreises der Werbekunden zu recherchieren. Wer über Zecken schreibt und behauptet, sie würden beißen, weiß nicht, wovon er oder sie spricht. Zecken stechen. Das muss man nicht wissen, wenn man sich über Zecken unterhält, das sollte man aber wissen, wenn man das Thema journalistisch bearbeitet. Andernfalls ist man eben Journalistendarsteller im Werbetheater.

Die Autorin erwähnt gleich zu Beginn, dass es eine Impfung gegen FSME gibt, erwähnt jedoch, diese sei nicht „risikolos“ und es „sollte abgewogen werden, ob diese notwendig ist.“  Nach diesem soliden Phrasenfundament widmet sich die Autorin den verschiedenen homöopathischen „Behandlungsmöglichkeiten“. Ob der Tipp lautet, Globuli am Anfang der Zeckensaison zu schlucken, um sich vor Bissen zu schützen (kein „hundertprozentiger Schutz“) oder in der „Bissstelle“ verbliebene „Zeckenstücke“ mit Globuli „raus zutreiben“, dem magischen Ritual sind scheinbar keine Grenzen gesetzt.

Die Autorin hätte die Möglichkeit gehabt, in diesem Text wirklich mal einen informativen Artikel zu einer Impfung zu liefern, bei der es tatsächlich rationale Gründe gibt, sie eventuell nicht durchzuführen. Man hätte darüber schreiben können, wie aus „Endemiegebieten“ „Risikogebiete“ gemacht wurden. Oder sich damit beschäftigen, wieviele FSME-Fälle es seit 2002 in Sachsen gab (34) und wieviele davon auf Dresden entfielen (5: 2003, 2004, 2011, 2012 und 2013). Damit hätte man den LeserInnen ein Gefühl für das Risiko geben können, dem sie ausgesetzt sind. Man hätte sich auf das Arznei-Telegramm beziehen können, um die Einschätzung der FSME-Impfung für Kinder zu zitieren:

„28% der Ein- bis Zweijährigen bzw. 7% der Drei- bis Fünfjährigen reagieren auf (Impfstoffname entfernt) mit Fieber von 38-39° Celsius, 3% bzw. 0,6% mit Temperaturen von 39,1-40° Celsius.6 Kopfschmerzen sind sehr häufig. Nervenentzündungen, Enzephalitis u.a. kommen vor. Die Impfung von Kindern gegen FSME erscheint uns hierzulande in der Regel entbehrlich.“

Damit hätte man zumindest die Zielgruppe seines brotgebenden Werbeblattes abgedeckt. Wenn man noch etwas Service für die Großeltern hätte bieten wollen, hätte man, wieder aus dem Arznei-Telegramm, erwähnen können, dass „bei naturnahen Aufenthalten in tatsächlichen Risikogebieten zumindest für Ältere die Nutzen-Schaden-Abwägung eher positiv (erscheint).“

Die Autorin entschied sich jedoch dazu, das Thema Zeckenstiche, deren Vermeidung und Folgen magisch zu behandeln. Ein paar faktische Informationsfeigenblätter eingestreut ergibt das ganze den perfekten Werbetext. Der Informationsgehalt des Textes entspricht seinem Thema, er ist homöopathisch.

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