Jakob Augstein hat sich in seiner Spiegelkolumne gegen Sterbehilfe ausgesprochen. Und zwar, wenn ich das richtig verstanden habe, kategorischer als das bis jetzt Fall ist. Dabei ist er der Ansicht, Sterbehilfe resultiere aus dem Bestreben der Gesellschaft überall für mehr Optimierung und Effizienz zu sorgen. Das ist sozusagen seine Grundannahme und aus dieser heraus ist er gegen die Sterbehilfe, weil er der Ansicht ist, den Tod solle man doch bitte in Ruhe lassen. Das hieße also Lebenspflicht als antikapitalistisches Mahnmal. Herr Augstein spielt damit nur eine Ideologie gegen eine andere aus. Vergessen werden dabei die Menschen und die Realität des Sterbens ignoriert.
Augstein spricht von der Würde des Sterbens und nennt als Beispiel Papst Johannes Paul II. Dessen Entscheidung des öffentlichen Sterbens als Individuum respektiere ich, auch wenn ich persönlich mir würdigere Möglichkeiten des Abschieds hätte vorstellen können. Auch darf man nicht vergessen, dass Johannes Paul II. mit seinem öffentlichen Leiden ein Ausrufezeichen hinter seine Amtszeit gesetzt hat. Während dieser hat er Agnes Gonxha Bojaxhiu, besser bekannt als Mutter Teresa, einer Ikone des Leidens eine Bühne geliefert und sie unterstützt wo er nur konnte. Agnes Gonxha Bojaxhiu hat, im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung, Armut und Leid nicht bekämpft sondern gepflegt, weil sie der Ansicht war, damit Jesus einen Dienst zu erweisen, der ja auch für uns und für alle gelitten hat, zur Vergebung der Sünden. In den „Krankenhäusern“ der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ wurden Kranken zum Teil einfachste und Lebensrettende Behandlungen verweigert, die hygienischen Bedingungen waren schlecht und Menschen wurden teilweise gegen ihren Willen getauft. Eines Tages kam Mutter Teresa zu einer an Krebs erkrankten Frau, die starke Schmerzen hatte und sagte zu ihr: „Die furchtbaren Schmerzen die hast, sind nur der Kuss Jesu. Du bist so Nahe bei ihm am Kreuz, dass er Dich küssen kann.“ Die Frau antwortete darauf: „Bitte sag Jesus, er soll aufhören mich zu küssen“.
Agnes Gonxha Bojaxhiu zweifelte jedoch an ihrem Glauben und an Gott, was sie in Briefen zum Ausdruck brachte. Briefe die auch den Vatikan erreichten. Man kann davon ausgehen, dass der von Augstein als Beispiel für würdiges Sterben angepriesene Papst, dieses als Glaubensbekenntnis zelebrierte. Damit hätten wir die dritte Ideologie, die in den Text hineinspielt. Aber noch nicht ein Wort über die Wirklichkeit, die Realität des Sterbens und der Sterbehilfe.
„Der Tod auf Bestellung ist kein Gewinn an Freiheit“
Augstein äußert sich nicht zur Frage, ob er auch gegen palliative Therapien ist, die das Sterben beschleunigen können. So kann Patienten mit Atemnot Morphin gegeben werden, damit sie weniger darunter leiden. Das führt aber auch dazu dass sie weniger atmen und damit früher sterben. Es gibt Patienten die keine Therapie wünschen, was ihr Sterben beschleunigt (mein Vater war so ein Patient).
Eine wichtige Frage stellt Augstein dennoch, vermischt dabei nur leider mehrere Ebenen:
„Wer schützt Alte und Kranke vor dem äußeren – oder inneren – Druck, die anderen und sich selbst von der Last und den Lasten des eigenen Leids zu befreien?“
Richtig und Essentiell ist, dass Menschen davor geschützt werden müssen, aus falsch verstandenem Altruismus aus dem Leben zu scheiden. Hier müssen wir eine gesellschaftliche Debatte führen und an dieser Stelle kommt der von Augstein erwähnte Drang zu mehr Effizienz und Optimierung ins Spiel. Denn wenn wir Menschen vermitteln, sie seien nichts mehr Wert, weil sie nichts mehr „leisten“ ist das ein Problem, was über die Sterbehilfe weit hinausgeht. Sich selbst von „den Lasten des eigenen Leidens zu befreien“ ist jedoch eine Frage von Autonomie. Zur Autonomie gehört natürlich, die Wahl zu haben: Best mögliche palliative Behandlung oder selbst (!) gewählter Freitod. Unser Bild von „Selbstmord“ ist immer noch einer christlichen Kultur, die Leben UND Leiden zur Pflicht macht, geprägt. Einen Ausweg darf nur Gott bieten.
Etwas, was ins Hintertreffen gelangt, ist das Problem, dass mit einem Verbot „der Sterbehilfe“, auch bei besserer Palliativversorgung“, nicht der Wunsch von schwer kranken Menschen aus der Welt geschafft wird, sterben zu wollen. Was ist, wenn sich immer mehr Menschen entscheiden zu einem Zeitpunkt aus dem Leben zu scheiden, an dem sie selbst noch die Entscheidung treffen und Durchführen können, aus Angst, diese Möglichkeit später nicht mehr zu haben? Das klingt auch nicht nach einem Zugewinn an Freiheit.
Nabend, oder besser Guten Morgen. Ich habe mich um 01:05 Uhr nachts noch mit so schweren Themen wie Pegida. So bin ich auf diesem Blog gelandet. Diesen Artikel fand fast noch besser, als den über Pegida. Obwohl ich die Meinung des Autors nicht komplett teile, finde ich ihn gut geschrieben.
Wichtig ist, dass man mal ne Debatte führt, was autonome Entscheidungen angeht. Wenn ein älterer Mensch meint, er müsse aus dem Leben scheiden, da bei ihm gerade Krebs diagnostiziert wurde und er seinen Verwandten und/oder dem Staat nicht noch die nächsten Monate/Jahre zur Last fallen möchte, dann ist es irgendwie keine freie Entscheidung.
Es ist ein wenig wie mit Abtreibungen. Hochbrisantes Thema, ja. Aber es ist heute schon gängige Praxis, dass die überwiegende Mehrheit der werdenden Kinder, bei denen Trisomie21 diagnostiziert wird, abgetrieben werden. Auch über die üblichen Fristen der Abtreibung hinaus. Nun ist die Frage, warum sich die Mütter und Väter so entscheiden. Ein Kind mit Trisomie21 bedeutet viel Arbeit und kostet Eltern und die Sozialsysteme Geld. Und in einer Gesellschaft, die davon ausgeht, dass 100% der werdenden Mütter ihr Kind vor der Geburt auf Trisomie21 testen lassen, kann es dann zu fragenden Blicken kommen. So nach dem Motto, ich respektiere die Entscheidung der Mutter, aber warum tut sie sich so etwas an? Die Trisomie21-Untersuchungen liefern übrigens nicht 100%ige Gewissheit. Ich meine gelesen zu haben, dass in 1-2% der fälle falsch positive Resultate vorliegen, auch bei wiederholten Tests. Naja, wo gehobelt wird, fallen Späne…könnte manch schlichter Zeitgenosse dann sagen.
Beim Sterben ist es ähnlich. Krebs wächst bei jedem Menschen unterschiedlich schnell. Es gibt verschiedene Einflussfaktoren. Ältere Menschen überleben länger, als jüngere, weil ihre Zellteilung verlangsamt ist. Dazu kommt, dass beispielsweise meinem Großvater per Fehldiagnose nur wenige Wochen gegeben wurden. Nur weil er auf Anraten einer Krankenschwester in der Familie eine 2te Diagnose einholte, kam diese Fehldiagnose heraus. Er überlebte mit Chemo und recht hoher Lebensqualität noch drei Jahre und übertraf damit auch die Prognose des zweiten Arztes mit korrekter Diagnose um ein Jahr.
Solche wichtigen Entscheidungen – wie die Sterbehilfe – sollten also möglichst transparent und ohne finanziellen/moralischen Druck auf den Betroffenen erfolgen. Politisch sehe ich durchaus die Gefahr, dass manche Interessengruppen unausgesprochen einen „billigen“ Freitod dem weiteren teureren Ausbau von Sterbehospizen vorziehen werden.
Ich möchte nicht sinnlos leiden müssen, zum Beispiel wenn mein Leben über Jahre von einer 24/7 intensivmedizinischen Versorgung abhängen wird, oder die geistigen Fähigkeiten durch Demenz/Alzheimer irgendwann gegen 0 gehen. Doch Krankheiten und Leiden gehören zum Leben. Leben ist nuneinmal ein Risiko. Verneint eine Gesellschaft das Leiden zu sehr, so werden die diskriminiert, die sich nicht schnell genug entscheiden können, oder sich bewusst für das Weiterleben entscheiden. Kein Mensch sollte einem anderen vorschreiben, wann es Zeit ist zu gehen. Eine komplexe Frage. Aber wie gesagt – gut dargestellt – durch den Autor.
Vielen Dank!
So jetzt muss ich mir noch was lustiges anschauen, bevor ich mich hinhaue und ins Reich der Träume abdrifte 😉
Für viele Menschen nicht verständlich, aber ich finde es gut das es diese Hilfe gibt. Ich bin zwar noch Gesund aber man weiß ja nie, besser ist man informiert als nichts zu wissen. Vielen dank für den Artikel.
Lg Lisa