Weltbilder sind etwas Schönes. Sie geben Halt, Boden unter den Füßen. Darum versuchen Menschen einiges, um Weltbilder aufrecht zu erhalten. Da man im Bezug auf die Weltbilder der anderen ziemlich machtlos ist, nimmt man sich des Eigenen an. Und so haben gestern „gewaltbereite“ Demonstranten in Hamburg 84 Polizisten verletzt und sich Straßenschlachten geliefert. Klarer Fall von linkem Rabaukentum und eine Tatsache die politisch den Unterstützer der Schließung des Kulturzentrums in die Hände spielt.
Unstrittig ist, dass es gestern zu Ausschreitungen kam. Strittig ist, wie es dazu kam, wer die Verantwortung für eine Eskalation trägt. Dabei sollte klar sein, dass beinahe jeder Menschen, ab einer gewissen Schwelle „gewaltbereit“ ist. Eine Möglichkeit die Schwelle für Gewaltbereitschaft zu überschreiten ist, ein Bedrohungsszenario aufzubauen. Und wenn ich die Berichterstattung und das Videomaterial richtig deute, wurde von Seiten der Einsatzkräfte einiges dafür getan, dass sich Demonstranten bedroht fühlten und zwar bereits kurz nach Beginn der Demonstration. In den etablierten Medien ist davon bisher wenig zu lesen. Es lohnt sich vielleicht ein Blick zurück.
Der Jenaer Lothar König musste sich in einem Verfahren gegen den Vorwurf des Landfriedensbruchs im Rahmen einer Gegendemonstration in Dresden 2011 verteidigen. Im Rahmen des Prozesses stellten sich die Vorwürfe von Seiten der Polizei nicht nur als unhaltbar, sondern einige Aussagen scheinbar als schlicht gelogen dar. König hatte das Glück viele Unterstützer zu haben, viel Aufmerksamkeit zu bekommen und für die Polizei kompromittierendes Videomaterial zur Verfügung zu haben. Was von dem Prozess blieb ist der Eindruck, dass von Vertretern des Gewaltmonopols, mit welcher Motivation auch immer, vor Gericht die Unwahrheit gesagt wird.
Frisch in Erinnerung aus diesem Jahr dürften die Vorkommnisse im Rahmen der „Blockupy“-Demo in Frankfurt am Main sein. Dabei wurden als „gewaltbereit“ eingeschätzte Demonstranten eingekesselt und durch einige Medien hatten das Bild schwer bewaffneter Krawallnasen verbreitet. Dass die Realität anders aussah war da uninteressant, sie passte nicht ins Narrativ. Im Nachhinein fanden sich eher Hinweise, dass die Einkesselung der Demonstranten geplant und politisch erwünscht war. Was den meisten jedoch in Erinnerung bleiben dürfte, sind die „gewaltbereiten Demonstranten“. Die geben Halt.
Ein anderes Bild bot sich nach dem Polizeieinsatz auf Schalke. Da war allen schnell klar, dass es sich um unverhältnismäßige Härte gehandelt hatte. Fussballfans, diese Ausgeburten an Friedfertigkeit, mit Polizeigewalt zu traktieren, das geht gar nicht. Da waren auch schnell Leute empört, die sonst gerne „linken Chaoten“ vorwerfen ohne Grund auf Polizisten loszugehen. Aber wenn man sich selbst als potentiell Betroffenen sieht, ändert sich die Richtung der Empörung plötzlich und man kann sich durchaus vorstellen, dass von Seiten der Einsatzkräfte unverhältnismäßig vorgegangen wird. Man gehört in dem Fall zur „Ingroup“.
Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Vorkommnisse in Frankfurt im Nachhinein in ein anderes Licht gerückt wurden. Dort wurden im Rahmen des Polizeieinsatzes auch Journalisten Opfer von Polizeiwillkür und Kollegen machten aus der Pressekonferenz der Einsatzleitung ein Tribunal anstatt die Aussagen 1:1 an die Redaktionen weiterzuleiten (in meinem Weltbild kommen viele Journalisten zur Zeit nicht gut weg ;)).
Ich denke, es ist unnötig zu sagen, dass ich Gewalt gegen Menschen, egal ob sie eine Uniform tragen oder nicht, inakzeptabel finde. Ich bin jedoch der Ansicht, dass an Polizisten andere Maßstäbe angesetzt werden müssen als an Demonstranten. Polizisten sind Profis, von ihnen dürfen wir erwarten, dass sie ihren Job überlegt und geplant ausführen. Wir dürfen erwarten, dass sie verhältnismäßig reagieren. Wir dürfen von der Einsatzleitung erwarten, dass ihnen klar ist, welche Reaktion sie bei engagierten Demonstranten hervorrufen, wenn sie eine Demonstration nach wenigen Metern stoppen und auflösen. Kleiner Tipp: Wenig erfreut.
Ich bin gespannt, wie sich Ereignisse von Gestern darstellen werden, wenn sich der Rauch gelegt hat, ob sich die Vorwürfe der Polizei als wahr herausstellen (wogegen zu Zeit einiges spricht) oder ob PolizistInnen in Gefahr gebracht wurden, um ein politisches Ziel durchzusetzen. Das wäre mal ein Fall für deren Gewerkschaftsvertreter. Von „gewaltbereiten“ Politikern habe ich in diesem Zusammenhang komischerweise noch nichts gelesen.
Weiterlesen:
Hier noch aktuelles zur Forschung in dem Bereich (danke an Feuerwächter für den Hinweis)
Ich sehe das ein wenig anders. Wenn Demonstranten mit Feuerwerkskörpern, Waffen, etc. kommen, dann sind die von Anfang an auf Krawalle aus und wollen sich auch provoziert fühlen. Wenn ich auf Demos bin und dort Polizei ist, fühle ich mich eher sicher statt provoziert. Sobald ich auch irgendwelche schwarz maskierte Leute sehe, dann entferne ich mich so weit wie möglich von denen.
Das hat wenig was mit Weltbildern zu tun, sondern damit, dass die Polizei neben der Sicherheit auf der Demo auch das Eigentum der Anwohner schützen muss. Genau das ist es auch, was viele Linke provoziert.
Nicht „Demonstranten“ sondern „einige Demonstranten“. Dass da einige dabei waren, die jeden Anlass genommen hätten sich mit PolizistInnen zu prügeln steht außer Frage. Die Frage ist, ob die Polizei eine kluge Strategie angewendet hat (wobei mich interessieren würde ob es dazu Forschung gibt aber das nur am Rande). In der Vergangenheit hat Deeskalation ganz gut funktioniert und zwar weil die meisten Demonstranten demonstrieren wollen (sogar Linke, so zumindest meine gewagte These). Mir erscheint es als sei die Entwicklung von gestern erwünscht gewesen, Ähnliches hat es in der Vergangenheit bereits gegeben, daher die Verweise auf andere Situationen.
Das Weltbild hat etwas damit zu tun, welche Informationen man wie gesichtet. Wenn man „Linke“ für Chaoten hält und nicht versucht seine Ansicht zu widerlegen, wird man in der Berichterstattung diese Ansicht bestätigt finden.
Gerade heute was dazu erschienen:
Der Mob im Schafspelz?
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40567/1.html
Cool, danke. Ich verlinke es mal im Text.
Es gibt ja durchaus einen Unterschied zwischen Weltbild und Weltanschauung. „Linke sind von Anfang an auf Krawall aus“ entspringt einem Weltbild, das ist einmal fixiert und von der Realität auch nicht mehr zu beeindrucken. Eine materialistische Weltanschauung geht erstmal davon aus, daß die Welt existiert und erkennbar ist, und nähert sich der Wirklichkeit mit Fragen, Beabachtungsgabe und Differenzierungsvermögen. Und das bringt einen dann zu Urteilen, also einer Widerspiegelung der Realität im urteilsfähigen Geist.
Müßig zu fragen, wohin der Maxlrainer neigt!