Manchmal frage ich mich, ob ich die ganzen Newsletter nicht wieder abbestellen sollte, das Meiste lese ich sowieso nicht. Aber manchmal stolpere ich doch über ein paar Zeilen die mich am sofortigen löschen hindern:

Alternativen zu Antibiotika
Antibiotika-Resistenzen nehmen zu. Über Alternativen zu Antibiotika bei Rhinosinusitis informiert eine Fortbildung von Hevert-Arzneimittel. mehr »“
Infektiologie ist für mich ein Hobby, so dass das Thema schon meine Aufmerksamkeit erregt hat. Antibiotika sind immer ein heißes Thema und an Alternativen wird ganz wild geforscht. „Hevert-Arzneimittel“ kannte ich bisher jedoch eher als Hersteller von Glaubuli und Komplexhomöopathika und nicht als Unternehmen an vorderster Front der infektiologischen (oder antiinfektiologischen Forschung). Ich war also mindestens gespannt und habe mich zum Artikel geklickt:
„NEU-ISENBURG. 8,5 Millionen Mal wird in Deutschland jedes Jahr für Patienten mit akuter Rhinosinusitis (Anm.: Nasennebenhöhlenenzündung oder „fetter Schnupfen“) der Rezeptblock gezückt – in 70 bis 90 Prozent der Fälle werden Antibiotika verschrieben.
Und das, obwohl die Primärinfektion meist viraler Natur ist. Eine der Folgen: eine bedenkliche Antibiotika-Resistenzentwicklung.
Eine Alternative, auf die in der Fortbildung eingegangen wird, ist das Arzneimittel Sinusitis Hevert® SL. (…)“
Dass in Deutschland (und überall auf der Welt) Antibiotika unkritisch und nicht nach evidenzbasierten Kriterien eingesetzt werden, ist kein Geheimnis. Ebenso die Tatsache, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirken. Ob der Einsatz von Antibiotika im Rahmen der Nasennebenhöhlenenzündung einen Relevanten Anteil an der Resistenzentwicklung hat, sei mal dahingestellt (möglich ist es). Richtig ist in jedem Fall, ein Medikament, dass ohne Indikation eingesetzt wird, ist ein falsches Medikament.
Aber hier bietet die Fortbildung von Hevert Abhilfe und verweist auf „Sinusitis Hevert® SL“. Sinusitis heißt „Nebenhöhlenentzündung“ und wird oft synonym mit Rhinosinusitis genutzt. Nach diversen Allgemeinplätzen über Antibiotika und der Erwähnung der Möglichkeit, dass uns ein „postantibiotisches Zeitalter“ drohe, geht es ans Eingemachte. Doch bevor es hier weitergeht ein kurzer Blick auf die Inhaltsstoffe (Übersetzung und ‚Übersetzung‘ der Potenzen von mir):
- Apis D4 10 mg -Bienengift 1:10000
- Baptisia D4 5 mg – Indigolupine 1:10000
- Cinnabaris D3 5 mg – Zinnober 1:1000
- Echinacea D2 30 mg – 1:100
- Hepar sulfuris D3 10 mg – Gemisch aus gleichen Teilen Austernschalenkalk (Calcium carbonicum) und Schwefelblumen (Sulfur), die durch Einwirkung großer Hitze miteinander verschmelzen und dabei eine weiche Masse (von leberartiger Konsistenz) ergeben. 1:1000
- Kalium bichromicum D8 30 mg – Kaliumdichromat 1:100000000
- Lachesis D8 10 mg – Sekret der Buschmeister, eine Schlangengattung aus der Unterfamilie der Grubenottern 1:100000000
- Luffa D4 60 mg – Luffa ist eine Gattung der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae), die in den Tropen beheimatet ist. 1:10000
- Mercurius bijodatus D9 70 mg – Quecksilber(II)-iodid ist eine chemische Verbindung und gehört zu den Halogeniden des Schwermetalls Quecksilber. Direkten Kontakt sollte man wegen seiner hohen Toxizität meiden. 1:1000000000
- Silicea D2 5 mg – Silizium 1:100
- Spongia D6 10 mg – Meerschwamm 1: 1000000
Zur Erinnerung: 1g entspricht 1000mg. Da ist zwar nicht mehr viel drin aber das Eine oder Andere sollte noch nachweisbar sein.
Das Produkt ist regelrecht omnipotent. Abschwellend und Entzündungshemmend sind nur zwei der Eigenschaften, die genannt werden und Sinusitis nur eine der Indikationen. Das Ganze wird mit einer Quellenangabe versehen und die sind ja das eigentlich Interessante: Auf welcher Basis empfiehlt Hevert sein Produkt als Alternative zu Antibiotika*.
An erster Stelle steht da „Schnupfen und Sinusitis – Natürlich und effektiv behandeln„, von J.C. Wollmann, einem bei Hevert angestellten Arzt. An zweiter Stelle findet man „Das Sinubronchiale Syndrom. Ganzheitliche Therapie bei Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege. Leitfaden für Fachkreise„. Die dritte Quelle behandelt das Thema Antibiotikaresistenz und stammt aus dem Ärzteblatt. Die Vierte Quelle ist die AWMF Kurzfassung der Leitlinie „Rhinosinusitis“ der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (die echte Leitlinie, wenn man so will). Und am Schluss wird noch aus der „Fachs- und Gebrauchsinformation Sinusitis Hevert SL“ zitiert, also dem Beipackzettel. Drei Quellen (1,2 und 5) sind aus dem Hause des Herstellers, wobei 1 nicht auffindbar ist und 2 eine Werbebroschüre ohne jegliche Quellenangaben. Eine Quelle ist nicht relevant für die Fragestellung (3). Schauen wir also in die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und finden heraus, welchen Stellenwert man dort dem Komplexhomöopathikum Sinusitis SL zuspricht:
In einer doppelblinden, placebo-kontrollierten Studie wurde ein homoopathisches Kombinationspräparat bei der akuten Rhinosinusitis untersucht. Diese Publikation spricht von signifikanten Verbesserungen. Eine generelle Empfehlung für den Einsatz homöopathischer Arzneimittel bei der akuten Rhinosinusitis kann nicht gegeben werden.
So steht es in der Kurzfassung. In der Langfassung (abgelaufen) findet sich folgendes:
Aufgrund der vorliegenden Studien (Wiesenauer 1989, Weiser 1994) kann eine wirksame ärztliche Einflussnahme auf die akute Sinusitis mit homöopathischen Medikamenten als nicht bzw. nicht ausreichend belegt angenommen werden.
Wie ein „wirkungsvoller Therapieweg bei Erkältungskrankheiten“ (Hevert) hört sich das nicht an.
Ich weiß ja, dass diese Form von Werbung in vielen Zeitschriften mittlerweile die Regel ist, abfinden möchte ich mich damit aber nicht wirklich. Was kann ich denn von einer, an medizinisches Fachpersonal gerichteten Publikation noch erwarten, wenn nicht kritische Berichterstattung? In diesem Fall war es recht einfach herauszufinden, wie dünn die Evidenz hinter dem gemachten Behauptungen ist. Bei neuartigen Produkten, über die es wenige Studien und Veröffentlichungen gibt, sieht das ganz anders aus. Ben Goldacre schreibt in seinem Buch, dass es nicht mehr möglich ist, für einen einzelnen jede Aussage zu prüfen und jedes Paper zu lesen. Wenn die Ärzte Zeitung diesen Job nicht für mich übernimmt, ist sie nutzlos, warum sollte ich sie lesen? Und dass ich die Aussagen in einer „Fortbildung“ vom Hersteller, egal welches Medikaments, nicht ernst nehmen kann, ist klar. Aber durch den Einleitungstext auf Seiten der Ärzte Zeitung wird dem ganzen eine gewisse Kredibilität gegeben. Die Frage ist, ob sich dadurch die Glaubwürdigkeit für die Fortbildung erhöht oder die der Ärzte Zeitung verringert.
*Eine „Alternative“ zu Antibiotika ist bei einer viralen Infektion sinnlos, weil Antibiotika in dem Fall die falsche Therapie darstellt. So wie das in der Fortbildung formuliert wird, kann die Alternative nur eine andere falsche Therapie sein.
Anmerkung: Ich hätte den Beitrag gerne mit ein paar Bildern von der Fortbildung aufgelockert. Da viele Unternehmen bei kritischer Berichterstattung aber ziemlich garstig werden können, wollte ich dem Vorwand der Copyrightverletzung nicht Tür und Tor öffnen.
3 Gedanken zu “Ärzte Zeitung präsentiert: Quatschmedizin”