Wenn ich mir anschaue, wie viele Medien in den letzten 48 Stunden über den Plan von SAP berichtet haben, muss ich leider als Erstes an eine PR-Aktion denken. Das Thema quillt aus allen Newstickern. Es wäre natürlich toll, in erster Linie für Menschen mit einer Autismusspektrumsstörung, wenn SAP tatsächlich 650 von ihnen einstellen würde. Trotzdem lässt mich diese Ankündigung ein wenig skeptisch zurück.
Ob sich SAP der Verantwortung bewusst, ist, die ein solcher Schritt bedeutet? Kai Vogeley gibt im Ärzteblatt 5 Antworten zum Thema Autismus und SAP.
„Die Patienten brauchen in meiner Einschätzung eine persönliche Betreuung auf zwei Ebenen: Nötig sind einmal Jobcoaches oder Arbeitstrainer, die in der Lage sind, konkrete Schwierigkeiten im Arbeitsalltag konkret aufzulösen. Das können auch Psychologen oder Sozialarbeiter sein. Außerdem brauchen die Patienten eine psychiatrische Betreuung, um die möglichen Belastungssituationen am Arbeitsplatz zu begleiten und um Begleiterkrankungen zu erkennen und zu behandeln. Viele Autisten leiden zum Beispiel zusätzlich unter Depressionen.„
Natürlich sind die SAP-Spezialisten dann in erster Linie Arbeitnehmer und nicht Patienten. Doch es sind Arbeitnehmer mit besonderen Bedürfnissen, die besondere Rahmenbedingungen benötigen. Ist SAP bereit diese Rahmenbedingungen zu schaffen und, was entscheidend ist, dafür zu zahlen?
In der Berichterstattung zu dem Thema und auch in der Pressemitteilung fällt auf, dass mit Klischees nur so um sich geworfen wird. SAP schreibt von „einzigartigen Talenten von Menschen mit Autismus“ als seien die „ein Prozent der Weltbevölkerung“ mit Autismus damit ausreichend beschrieben. Folgt man Simon Baron Cohen, haben Menschen mit Autismus ein besonderes Talent zu systematisieren. Also müssen (!) sie einfach ideal für Informatik und Zahlen sein. Doch ob man es glaubt oder nicht, es gibt Menschen mit Autismus, die haben keine Interesse an und keinen Sinn für Zahlen. Viele können nicht einmal rechnen*…das heißt natürlich nicht, dass sie nicht trotzdem besondere Fähigkeiten hätten, nur ist SAP an denen wahrscheinlich nicht interessiert.
Wenn von einem Prozent an Menschen mit Autismus gesprochen wird, erfüllt davon nur der geringste Teil überhaupt die Grundvorraussetzungen für eine Tätigkeit bei einem Unternehmen. Meine Befürchtung ist, dass SAP hier einen PR-Coup landet und vielen Menschen Hoffnungen macht, die nicht erfüllt werden.
Was ist, wenn SAP mit diesen „besonderen Fähigkeiten“ einem Mythos aufsitzt. Dem Mythos vom genialen Autisten, dessen Talent nur nicht in richtige Bahnen gelenkt wurde. Das vermittelt ein sehr einfaches Bild von Autismus und Menschen die eine Autismusspektrumsstörung haben. So als wäre das einzige Problem, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die Besonderen Fähigkeiten von Menschen mit Autismus zu nutzen.
Und beim „nutzen“ bekomme ich auch ein wenig Bauchschmerzen. Natürlich nutzt jeder Arbeitgeber die Fähigkeiten seiner Angestellten. Nur kann es bei Menschen mit einer ASS dazu führen, dass andere Bereiche darunter leiden. Natürlich kann sich SAP nur Angestellte wünschen, die sich 16 Stunden am Tag in ihre Arbeit vertiefen und nichts anderes machen**. Ob das für die langfristige Entwicklung der Autonomie seiner Angestellten hilfreich ist, sei einmal dahingestellt.
[Edit: 26.05.2013 12 Uhr]
Vielleicht bin ich doch zu pessimistisch? Bei RP-online ist gestern eine Meldung veröffentlicht worden. Darin wird über Menschen mit einer ASS berichtet, die bei Vodafone arbeiten. Besonders der letzte Absatz ist sehr positiv:
Das erste Fazit hat alle Beteiligten verblüfft. Marc Ruckebier beobachtet, wie sich das soziale Klima in den Abteilungen, in denen Autisten eingesetzt werden, verbessert hat. Fabian Hoff berichtet, seine Zukunftsängste hätten sich in Luft aufgelöst. Nina Dohle war letztes Wochenende mit Kollegen auf der Jazz-Rallye – mit einigen tausend anderen Gästen. Allein der Gedanke wäre ihr vor ein paar Monaten unerträglich gewesen. Die Kooperationspartner von Vodafone und Auticon möchten die Erkenntnis weiter geben, „dass nur ein bisschen Umdenken notwendig ist, um eine Situation grundlegend zu verbessern“. Nach ihrer Einschätzung stehen alle Zeichen dafür, dass dies eine Erfolgsgeschichte „made in Düsseldorf“ wird.
Ein schaler Beigeschmack bleibt, denn das Timing erweckt bei mir den Eindruck einer Werbeaktion „Wir haben auch Autisten“. Es bleibt zu hoffen, dass bei all der Berichterstattung über Menschen mit hochfunktionalem Autismus die anderen nicht vergessen werden.
*Zwischen 25 und 50% von Menschen mit einer ASS weisen eine geistige Behinderung auf, also einen IQ unter 70.
** Klischees kann ich auch.
Solche Artikel werden, weil sie Aufmerksamkeit erregen, also Kohle machen, gerne schnell und unüberlegt veröffentlicht. Das jedoch SAP mit Specialisterne zusammenarbeitet, sind sie wohl auf die IT-Freaks aus, unter denen auch sehr brauchbare Leute sein können. Auf Anfrage jedoch, bekommt man nur die Antwort, dass das sich alles noch in den Kinderschuhen befindet. Das ist angesichts des Medienrummels nicht viel. Aber es ist ein Anfang und hoffentlich wird da mehr draus.